Er hat es geschafft

Bild von congerdesign auf Pixabay 

Samstagmorgen starb mein Vater.

Nach drei leidvollen Wochen fand er endlich Erlösung.

Er hat gekämpft.
Mit dem Tod gerungen.
Wollte nicht sterben.

Doch dann fand er endlich den Weg.
In das erlösende Reich Gottes
Jetzt ruht er in Frieden.

Die Schwestern im Krankenhaus kümmerten sich rührend drei Wochen lang um ihn.
Zuletzt stellten sie nach Nachfrage bei meiner Mutter ein kleines Windlicht mit einem
Liedtext (EG 652, Von guten Mächten treu und still umgeben) von Dietrich Bonhoeffer auf den Nachttisch.

Er quält sich so

Er quält sich so sehr.

Er läuft kilometerweit. Unter der Bettdecke strampeln unruhig die Beine.

Seine Hände liegen zu festen Fäusten geballt auf der Brust.

Es klopft an der Zimmertür. Herein kommt die Klinikseelsorgerin.

Ruckartig setzt er sich auf und sagt mit lauter Stimme: „Wir haben Besuch!“

Dann sinkt er wieder ermattet zurück auf das Kopfkissen.

Er atmet schwer, hustet, räuspert sich und versucht so den lästigen Schleim loszuwerden, der ihm im Rachen hängt.

Er richtet sich wieder auf. Sein Blick aus weitaufgerissenen, fast hervortretenden, glasigen Augen. Mit ihnen eilt er durch den Raum. „Und was machen wir jetzt?“, fragt er.

Zum wiederholten Mal blickt er auf seine Armbanduhr als hätte er noch etwas vor und dürfe es nicht vergessen.

Er sucht die Mutter seiner Kinder. Als er sie gefunden hat, sagt er traurig: „Ich sterbe, nicht wahr?“

„Ja… Du musst nur loslassen.“

Es treibt einem Tränen in die Augen. Mutter und Tochter schlucken, haben Tränen in den Augen. Auch er weint. Ihn so zu sehen bricht einem das Herz.

Nach und nach verlassen Tochter und ihre Mutter den Vater. Sie hoffen die Nacht wird für die Mutter nicht ganz so schwer wie die vergangene.

Sie wurde wieder genau so schwer.

Der Arzt spricht ein Machtwort. Das Bett für die Ehefrau müsse abgebaut werden, sonst habe er bald zwei Patienten zu betreuen. Er schickte sie nach Hause. Dort solle sie sich erst einmal ausruhen, etwas schlafen. An diesem Tag wolle er sie nicht mehr im Krankenhaus sehen. Die Nächte solle sie ab nun nicht mehr im Krankenhaus schlafen.

Es brauchte in der Nacht zwei Pfleger um ihn zu bändigen.

Am nächsten Tag war er immer noch so unruhig. Als seine Frau kam, ihn zu besuchen war es um ihre Contenace geschehen. Sie brach in Tränen aus und weinte bitterlich.

Sterben ist oft schwer. Für den Sterbenden. Für die Angehörigen.

Unser Umgang mit dem Sterben

Meine Welt ist voller Unruhe

Corona bestimmt nach wie vor das Leben im GTH.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Nachdem wir auf jedem Wohnbereich mehrere Corona-Kranke hatten, haben wir nicht mehr im großen Speisesaal gegessen. Gegessen wird nun auf den Wohnbereichen; im kleinen Speisesaal oder auf den Zimmern.

Ich esse auf meinem Zimmer. Daher kann ich im Blog auch nicht mehr kleine amüsante Geschichten erzählen.

Es gibt keine Gruppen-Angebote mehr. Doch die Damen und Herren des Sozialen Dienstes versuchen Angebote in kleinen Gruppen oder mit einzelnen Bewohnern durchzuführen. Außerdem gibt es wieder Fenster-Angebote. Zum Beispiel Fenster-Gottesdienste.

Ich bin froh, dass ich mit meinem E-Rolli ab und zu rausfahren kann.

Ukraine und Putins Krieg bestimmen fast sämtliche TV- und Radioprogramme, dazu die Zeitungen und Zeitschriften und letztendlich auch das Internet.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay 

Die Ukrainer leiden schrecklich vor allem die Kinder.
Familien verlieren ihre Wohnungen, ihre Häuser, ihr Zuhause.

Die ukrainischen Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, stellt ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen Putins Schergen zusammen. Aber gegen die Übermacht der Russen haben die Ukrainer keine Chance. Es gibt viel Gewalt und Tod.

Wenn ich das in den Medien sehe, lese, höre macht mich das sehr traurig. Außerdem macht es mir auch Angst.

Sorgen um meinen Vater macht mein Leben zur Zeit ebenfalls sehr schwer.

So befinde ich mich also inmitten von drei großen, Angst einflößenden Szenarien.

Warten auf den Tod

Heute fragte ich die Pflegerin, wann man je das Heim verlassen würde, nur wenn man stirbt?

„Nein!!! Es haben sich Bewohner wieder so erholt, dass sie wieder ausgezogen sind! Herr Z. zum Beispiel, ist wieder nach Hause zu seiner Frau gezogen, die ihn dann weiter pflegen konnte.“

„Na klasse!“ sagte ich „Ich war nie verheiratet. Ich habe kein Zuhause in das ich zurück ziehen könnte. Meine Familie sind meine Schwester und unsere Mitte-80-Jährigen Eltern. Sie haben genug mit sich selbst zu tun, sind selber krank. Meiner Schwester will ich nicht zur Last fallen. Sie ist beruflich selbstständig und hat sehr viel zu tun (Gott sei Dank!). Bleibt also nur das warten auf den Tod!“, ich hasste mich für die selbst bemitleidenden Worte. 😡

Die Pflegerin antwortete: „Es gibt ja auch Wohngruppen, selbst solche mit MS-Betroffenen. Ist halt nur die Frage wo.“

Ich hatte davon gehört: „In Düsseldorf… Oder in Duisburg… „

„Na bitte! Sie müssten dann aber bereit sein, umzuziehen“ , die Pflegerin ließ nicht locker.

„Hm… das würde ich tun, wenn es die Möglichkeit gäbe ..oO(alles nur nicht warten auf den Tod.. inmitten lauter Senioren; würde ich das wirklich tun?)

„Wie alt sind Sie?“, fragte sie und grinste.

„In einem Monat werde ich 54… na ja, sooo jung bin ich auch nicht mehr“, musste ich zugeben.

„Sie nähern sich im Alter immer mehr an“, sagte die Pflegerin und ich kann ihr da nicht widersprechen.

Ich war immer schon ein Mensch, der Angst vor Neuem hat. Gut gelebte Routine bietet Sicherheit. 😳

Talita kum! – Steh auf!

„Talita kum!“ ist aramäisch, Muttersprache von Jesus, und heißt soviel wie „Steh auf!“.

Das ist eine der Lieblingsstellen von Herrn Hübner im neuen Testament. Es steht bei Markus im 5. Kapitel.

Hr. Hübner ist Religions- und Sozialpädagoge. Er arbeitet im Sozialen Dienst des Gerhard Tersteegen Hauses. Er wurde auch eingestellt, weil er einen Gottesdienst im Gerhard Tersteegen Haus abhalten kann. Heute ging es um die Auferweckung der Tochter des Jairus.

Dort wird die Geschichte im Haus des Synagogenvorstehers Jairus erzählt. Da herrscht großes Wehklagen und Geheul, denn dessen 12jährige Tochter ist anscheinend gerade gestorben. Als Jesus gerufen wird, sagt er, das Mädchen sei nicht tot. Es schlafe nur. Die Leute verlachen ihn. Jesus nimmt das Mädchen an der Hand und sagt: „Talita kum!“, was soviel bedeutet wie: „ Mädchen, ich sage dir: Steh auf!“ Und tatsächlich das Mädchen erhebt sich und geht umher. (vgl. Mk 5, 21)

Jesus glaubte nicht an den Tod. Er sah das Mädchen da liegen. Aber er bezweifelte die Augenscheinlichkeit des Todes. Er hatte die große Hoffnung, die den vielen Mächten des Todes widersteht und eintritt in dessen Bewegung für das Leben. Er hoffte ganz stark auf die Auferstehung und sprach: „Talita kum!“

Quellen: Gustav Schädlich-Buter , Basisbibel

Die beste aller Ehefrauen

Eine schwere Stimmung umgab ihn wie eine schwarze Wolke.

Bild von Krzysztof Pluta auf Pixabay

Herr H. kam Samstagmorgen in den Speisesaal zum Frühstück…

Er ging fast schwankend…

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den nächsten…

Ich begrüßte ihn mit einem herzlichen: „Guten Morgen, Herr H.!“

Sein Blick schaute kurz auf. Dann ging er vorsichtig weiter. Seine Worte trafen mich wie ein Keulenschlag: „Meine Frau ist gestern Abend gestorben.“

 

Bild von Andreas Lischka auf Pixabay

 

Als er seinen Platz erreicht hatte, liefen schon die Tränen.

Ich setzte meinen E-Rolli in Bewegung und rollte zu ihm. Dann umarmte ich ihn.

„Danke“, stammelte er. „Sie war ein wunderbarer Mensch…

… dachte immer an andere. Sie selbst war nicht so wichtig, meinte sie“, sagte er und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Das ist wahr“, stimmte ich ihm zu: „Sie sorgte immer auch für Sie, wenn sie beide zum Frühstück kamen!“

Es rührte mich immer, wenn die beiden kamen und sich erstmal ein Küsschen gaben.

Die beiden waren nicht lange im Gerhard Tersteegen Haus. Sie war 85, er ist 86. Sie waren 67 Jahre verheiratet.

 

Bild von Olle August auf Pixabay

Schlechte Laune

Jeder Mensch ist manchmal traurig. Auch die betagten Bewohner sind manchmal richtig down. Schwierig ist, dass sie oft wenig Kontakte haben, mit denen sie darüber sprechen können oder wollen.

Als ich eines Tages Frau Y., eine ehemalige Nachbarin meines Elternhauses wiedersah, war sie gerade eingezogen ins Seidencarré (Betreutes Wohnen) in der Nähe vom Gerhard Tersteegen Haus. Heute wurde mir klar, dass das wohl war, nachdem ihr Mann gestorben war.

Ich wollte mir gerade einen Eiscafé beim Café im Seidencarré kaufen. Da sah ich Frau Y. wie sie lustlos, ziellos, einfach vollkommen unmotiviert um die Ecke bog.

„Hallo Frau Y.“: grüßte ich sie.

„Wer ist da?“, fragte sie unsicher. Sie sieht sehr schlecht.

„Ich bin’s, Katrin, Katrin S.!“, erwiederte ich.

„Ach! Katrin! …  Wie geht es den Eltern? Die habe ich schon länger nicht gesehen. Sie kamen doch Samstags immer zum Kaffee“, fragte sie besorgt.

„Denen ist es zu heiß. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich lieber unter einen Baum im Garten setzen. Sie sind ja mittlerweile auch schon über 80. … So, ich bestelle mir jetzt einen Eiscafé und setze mich damit auf die Terrasse. Wenn sie möchten, bestellen sie sich doch auch etwas und setzen Sie sich zu mir.“

„Ach nein, ich möchte Sie nicht stören. Sie sind sicherlich nicht allein…“

„Doch. Da sitzen nur Leute am Nachbartisch und spielen Karten.“

Also bestellte sie sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Pflaumenkuchen und setzte sich zu mir.

Frau Y. war an dem Tag schlecht drauf. Mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht. „Frau X. ist gestorben“, informierte sie mich. Ich hatte keine Ahnung, wer Frau X. war. Aber ich brauchte nur etwas zu warten. Da sprach Frau Y. weiter: „Wir saßen im Speisesaal an einem Tisch. Mittags hatten wir noch zusammen gegessen. Abends war sie schon tot.“

„Das ist natürlich hart“, sagte ich.

„Hier stirbt einer nach dem anderen weg“, sagte Frau Y. missgelaunt.

„Ich lebe in einem Altenheim und Sie leben im Betreuten Wohnen für Senioren“, meinte ich Schultern zuckend, „aber wir wohnen hier sehr schön (ich zeigte auf den Garten) mit der nötigen Hilfe, die wir brauchen“, relativierte ich ihre miesepetrige Stimmung.

Da lächelte sie plötzlich.

 

Die Hitze fordert weitere Opfer

Auf dem Andachtspodest im Speisesaal sammeln sich immer mehr Todesanzeigen. Heute wären es mittlerweile schon 10 gewesen. Doch dazu reichte der Platz nicht mehr. Daher wurden die beiden Rahmen der schon am längsten dort stehenden durch neue ersetzt.

Frau Ga.s Name steht also nicht mehr dort.

Der Haustechniker und seine Mitarbeiter sind fleißig dabei, die Zimmer der Verstorbenen wieder zu renovieren, damit neue Bewohner einziehen können.

Heute morgen erfuhr ich, dass mein stimmgewaltiger Nachbar im Krankenhaus verstorben sei. Er wird also nicht mehr ins Gerhard Tersteegen Haus zurückkehren. Wieder ein neuer Name auf dem Andachtspodest. Dort las ich, dass er für heutige Verhältnisse gar nicht so sehr alt geworden ist. 75 Jahre alt ist heutzutage kein Alter zum Sterben mehr. Doch ich denke es war für ihn eine Erlösung. Jetzt kann er endlich seine Muddi wieder sehen.

Der verbleibende Rest der Bewohner, einschließlich mir sind erleichtert, dass die lauten Rufe erst einmal aufgehört haben.

Ich bin gespannt, wer demnächst in das Zimmer ziehen wird.