Sonntagmorgen war ich spät unten im Speisesaal zum Frühstück. Nun ja, spät ist relativ. Aber für meine Verhältnisse ist nach 9 Uhr spät. U. kommt meistens später als ich. Das war auch heute so. Aber unwesentlich. Nur ca. eine ¼-Stunde.
Doch in dieser Zeit passierte die kleine Begebenheit, von der ich heute erzählen will.
Ich saß noch ganz alleine an meinem Tisch. Überhaupt war es schon wieder recht leer im Speisesaal.
Da erschien schnellen Schrittes eine gehetzt wirkende Bewohnerin. Sie blickte nach rechts… nach links… und verschwand dann rechts in der Kapelle. Von dort waren laute Geräusche zu hören. Zwei Damen des Sozialen Dienstes rückten Möbel und bereiteten alles für den sonntäglichen Gottesdienst vor.
Kurz herrschte Ruhe. Dann huschte die gehetzte Bewohnerin wieder in den Speisesaal. Sie sah sehr unglücklich aus. Sie machte ein paar Schritte nach rechts, dann nach links, seufzte. Dann kam sie auf mich zu: „Hab ich Sie schon gefragt?“
„Was gefragt?“, antwortete ich.
„Na wegen dem Geld! Hätten Sie mal 5 Mark für mich? Die brauch ich unbedingt! Fürs Frühstück!“, sagte sie angespannt.
…ooOO(Mark???), dachte ich.
„Haben Sie oben noch nicht gefrühstückt?“, fragte die Hauswirtschafterin, die an diesem Sonntag im Speisesaal Dienst hatte, „Sie essen doch oben. Aber wenn Sie noch Hunger haben, fragen Sie in der Küche auf dem Wohnbereich nach. Wenn Sie wollen, dann nehmen Sie vom Büffet hier unten einen Apfel oder eine Banane mit.“
Da ging mir ein Licht auf. Ich erinnerte mich, wo ich die Bewohnerin schon mal gesehen hatte. Sie wohnte auf dem geschützten Wohnbereich für demente und/oder von Alzheimer betroffene Bewohner.
„Ich hab doch keine Fahrkarte!“, verzweifelt lief die Bewohnerin hin und her wie ein Tier in einem Käfig.
„Sie wollten doch etwas zu essen kaufen?“, meinte die Hauswirtschafterin.
„Genau, ich treffe mich mit einer Freundin in der Stadt. Wir wollen zusammen frühstücken gehen“, sagte die Bewohnerin.
Da erschien endlich eine Pflegerin der Station der Dame. „Ach, da sind Sie ja, Frau X.. Ich hatte sie schon überall gesucht“, sagte die Pflegerin. Dann bemerkte sie die Verzweifelung der Bewohnerin. „Sollen wir 2 mal gemeinsam ein paar Schritte gehen?“ Das löste ein wenig der Anspannung der Bewohnerin. Die Pflegerin hakte sich bei der Bewohnerin ein und die beiden verließen gemeinsam den Speisesaal.
Ich bewundere immer wieder das einfühlsame Pflegepersonal, wie behutsam sie mit den kranken Bewohnern umgehen!
Arbeit in der Altenpflege ist so wichtig, so wenig honoriert, so wenig gewertschätzt. Warum bezahlen wir Menschen, die in diesem Bereich arbeiten so viel geringere Gehälter, als Menschen, die in Banken oder der Industrie arbeiten? Die meisten Menschen werden einmal am eigenen Leib erfahren, wie wichtig die Arbeit in der Alten- und Krankenpflege ist.
Man rüstet auf, 2% des BIP. Schließlich muss man die Republik am Hindukush verteidigen und gegen Russland und China und den Iran gewappnet sein. Da hat man kein Geld für Pflege und anderen Firlefanz über.
Sehr beängstigend fand ich, dass die Bewohnerin wie in einem Traum handelte. Man träumt ja oft, dass man zB irgendwo hin will, man hat sich verabredet, aber dann stellen sich allerlei Hindernisse ein, man wird immer aufgeregter … und erwacht. Diese Frau scheint nicht mehr zu erwachen. Die Pflegerin baut sich geschickt in den „Traum“ ein und beruhigt so die Patientin. Sehr fein.
Manchmal denke ich, das, was wir „geistig Gesunden“ als Wirklichkeit erleben, sei vielleicht nur ein Alptraum, aus dem wir erwachen werden. Denn ich weiß wirklich nicht, wer verrückter ist: die Bewohnerin eures Heims oder die Herr- und Damschaften in den Ministerien.
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Ich habe den Pflegekräften gegenüber sehr viel Respekt und zolle ihnen hohe Anerkennung. Ich habe es bei meinem Vater ja selbst miterlebt, wie die Pflegekräfte wirklich alles geben.
Am schlimmsten ist für mich, dass die Probleme in der Pflege nun ja laaaaange bekannt sind und nichts nennenswertes passiert. Vor einem Jahr war der Pflegenotstand ein großes Thema, das ist leider schon wieder untergegangen. Und von den berühmten 13.000 neuen Pflegekräften (eh nur ein ganz kleiner Tropfen) gibt es bis heute keine Spur.
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Viel zu viel Geld verschwindet in irgendwelchen Kanälen….
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Der Besorgnis erregende Zustand in der Pflege wird sich erst dann ändern, wenn mal einer von unseren Volks(ver)tretern in eine schlimme gesundheitliche Lage kommen sollte, weil kein Pflegepersonal zur Stelle ist. Aber da unsere Damen und Herren „da oben“ ja in der Regel finanziell sehr gut gestellt sind, wird das wohl niemals der Fall sein – leider…
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Ich fürchte, dass Du da Recht hast. Die „da oben“ leisten sich im Bedarfsfall wahrscheinlich ein privates rund-um-die-Uhr-Pflegeteam.
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Ja, genau so ist es. Wenn Frau Merkel sich beim Skifahren verletzt, dann kommt auch der Chef, auch wenn er keinen Dienst hat. Nicht nur der Oberarzt, von dem wir oft denken, hoffentlich fallen wir dem nicht mal in die Hände…Und bei dem Gehalt kann man sich im Alter auch diese Luxus – Suite leisten, mit Blick auf was weiß ich denn. Da können wir alle nicht mitreden, Die 1700,- Euro für das Pflegeheim zum selber zahlen nimmt unsere gesamte Rente ( minus 130,- fürs Taschengeld ) und da fangen diese Gutverdiener ja gar nicht erst an…130,- Euro Taschengeld ist vielleicht mal 1 Friseurbesuch…
Ich kanns auch nicht verstehen, aber solange wir Angehörigen immer zum Selbstkostenpreis ( also richtiger zum Preis von Berufsaufgabe, verbunden mit Renteneinbußen, vom persönlichen Dilemma, Verlust unserer eigenen sozialen Kontakte und und und…) das Ganze doch tragen, solange ändert sich auch nichts. Allen ist bekannt, was die Angehörigen stemmen und wie ungerecht die Gelderverteilung ist, hat sich da jetzt was geändert? Nein, die dringend benötigten Kinderkanken-Intensivschwestern bekommen eine Ausbildung für ein Jahr im Altenheim und die sich zur Altenpflege berufenen jungen Leute müssen erst mal etwas absolvieren, bei dem danach vielleicht die Lust verloren geht.
Ich versteh es nicht. Wirklich, mehr Geld und eine größere Anerkennung im Volk, ( die ist ja bloß Kranken/Altenschwester) würden den Wert dieser Arbeit endlich mal schätzen. Diese geleistete Arbeit dort in der Pflege, in allen Bereichen, aber eben auch in der Altenpflege, in die wir vielleicht alle hinkommen, die ist so wichtig!
So, habe fertig!
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👍 👍 👍
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Das sehe ich genau so… hoffnungslos.
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Oh Mann …
Und da hast du so Recht mit !!!
Es ist ja nicht nur schlechte Bezahlung …
Die Schichten , in denen sie arbeiten … Verträge werden nicht verlängert … und die Infos über alles erreichen die Mitarbeiter prinzipiell auf den letzten Drücker …
Altenpfleger gehören nicht zufällig zu den Berufsgruppen mit den höchsten Krankheitsquoten physischer und psychischer Art
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