Gestern beschloss ich, der Sache mit dem lauten Nachbarn offensiv entgegen zu treten. Ich besuchte ihn.
„Hallo Herr H., ich bin ihre Nachbarin“, sagte ich, „Ich wohne hinter dieser Wand.“ Ich zeigte auf die entsprechende Wand.
„Ach… da wohnen Sie?…“, ein einziges Fragezeichen blickte mich an.
„Ja, da wohne ich. Und ich höre sie immer, wenn sie so laut rufen“, meinte ich.
„Sie können mich hören?“, fragte er.
„Ja. Das ist ja immer sehr laut!“, sagte ich.
„Das erleichtert mich, wenn ich so laut rufe“, erklärte er, „Da soll ja dann auch jemand kommen! … Aber es kommt keiner!“
„Das hat mir anfangs ganz schön Angst gemacht!“, sagte ich ihm.
„Das hat Ihnen Angst gemacht? Das wollte ich nicht!“, meinte er.
„Hat es aber. Sie sind ganz schön laut!“, machte ich ihm klar.
Da lag er in seinem Bett, ein armer, alter Mann im roten T-Shirt, ziemlich mager. Unfassbar, dass er eine solch kräftige Stimme hat!
Ich beschloss das Thema zu wechseln, fragte ob er Kinder habe (nein), was er früher beruflich gemacht habe (Kaufmann).
Ich sah mich in seinem Zimmer um. Zwei große Natur-Bilder hängen dort. „Wo ist das?“, fragte ich.
„Das ist im Taunus. Da habe ich lange Zeit gewohnt und gearbeitet“, erklärte er.
Dann meinte er, er wolle sich etwas anziehen und im Rollstuhl sitzen. Er könne doch nicht einfach im Bett liegen bleiben und sich mit mir unterhalten.
Ich meinte, natürlich könne er im Bett bleiben. Das wäre in Ordnung.
Dieser Teil unserer Unterhaltung schien richtig normal.
Fazit:
Mir hat es geholfen, mit ihm gesprochen zu haben, ihn gesehen zu haben.
Ihm vielleicht auch? Immerhin ist er am Abend so ruhig wie schon lange nicht mehr gewesen!
Ich wünsche es dir sehr, dass dein Nachbar in Zukunft ruhiger sein möge. Du hast genau das Richtige getan. ❤
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Ich lese das heute am Ostersonntag und finde es eine schöne Ostergeschichte.
Was haben wir alle für Ideen hier gelassen als du über ihn geschrieben hattest und du findest deinen ganz eigenen Weg, eigentlich das was du immer tust, das wofür du eine Begabung hast: die Begegnung 🙂
Vielleicht bringst du ein Stück wahrgenommen werden in seinen Alltag und es kann „leiser“ werden, vielleicht hilft es dir auch jetzt ein Gesicht zur Stimme zu haben – ich wünsche es euch ❤
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Leiser werden, da ist er das Gegenteil der Fall. 😣
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Ich hoffe die Pfleger finden eine Lösung die für dich und ihn vertretbar ist ❤
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Mittlerweile sitze ich mit Ohrstöpseln am PC und höre ihn immer noch!😣
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😦
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Liebe Katrin und liebe andere Mitlesende,
herzliche Ostergrüße aus Dresden. Das Beispiel hier zeigt sich ganz eindeutig die Misere des jetzigen Systems. Nur durch solche klugen, empathischen Menschen wie Dich und viele pflegende Angehörige, Freiwillige usw. UND!!!!!!! mehr motiviertes, vernünftig bezahltes Pflegepersonal kann sich überhaupt was ändern.
Ich würde Dir, liebe Katrin, sehr wünschen das dieser Herr vielleicht ein neuer „Wurzelsepp“ wird. Alles Liebe!
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Wurzelsepp bleibt einzigartig. Er ist nicht zu ersetzen!
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Klasse Katrin, super Eingebung! Wünsche Dir ruhevolle Ostern! 💕😉
Liebe Grüße Babsi
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Er scheint sehr einsam zu sein. Vielleicht kündigst du deinen nächsten Besuch an, wenn der geplant ist, dann könnte er sich für den Rollstuhl fertig machen ( lassen). Es wäre doch ein Versuch wert, oder?
Ich wünsche dir schöne Ostertage.
Elke
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Auch Bienchen!
Wenn es jemanden gibt, der sich um in kümmert ist er ganz bestimmt für eine Weile sehr glücklich. Manchmal reicht es vermutlich schon, reinzugehen/ zu fahren und kurz was zu sagen.
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Finde ich klasse von dir und ich hoffe, er nimmt jetzt etwas Rücksicht, damit du wenigstens schlafen kannst.
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Leider kann er nicht mehr Rücksicht nehmen. Er ist dement- wie ein kleines Kind welches Schutz braucht.
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Gute Idee , guter Schritt
🤗🤗🤗
Seltsam … unerwartet …
Klingt ja ganz geistig da …
klingt gar nicht so nach Muddi, Muddi … 🤔
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Auch ganz richtig- Bienchen verdient!
Ich kann den konkreten Sachverhalt natürlich nicht einschätzen. Aber bei Dementen soll man sich „in den Schuhen des Betroffenen bewegen“.
In seiner jetzigen Welt befindet sich der Mann vermutlich in seiner Kindheit/ frühen Jugend und nur Mutti ist einfach da- Vater im Krieg oder, oder….
Liebe Katrin- Dein Ansatz ist Goldrichtig! Biografiearbeit!
Vielleicht kann der Mann ja zumindest in größeren Abständen mal in den Aufenthaltsraum geschoben werden. Aber wie gesagt- das kann nur der ganz konkrete Sachverhalt ergeben.
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Wer ist Bienchen ?
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Sorry, ist bisschen „DDR-Mentalität“. Früher gab es in der Grundschule keine Zensuren, sondern so Stempel, also Bienchen. Herzliche Grüße
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Aha !
Demnach bist du die Bienenkönigin …. ääääähm … sorry, die Frau Lehrerin, die hier die Noten verteilt ?
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Katrin, vielleicht war es fuer Deinen Nachbarn ein Lichtblick, dass jemand (Du) eine ’normale‘ Unterhaltung mit ihm gefuehrt hast. Wenn jemand schreit, liegt es nahe, dass eine Pflegekraft fragt: was ist los, wie kann ich helfen ……. aber vielleicht brauchen Menschen eher Zuwendung, d.h. Interesse. Die Tatsache, dass Du eine normale Unterhaltung mit ihm fuehren konntest, heisst doch, dass er wenigstens voruebergehend klare Phasen hat. Das war eine gute Initiative von Dir (und wenn durch kurze Unterhaltungen die Ruhe einkehrt, ist das ein gutes Rezept fuer die Zukunft). Frohe Ostern, viele Gruesse von Andrea
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Ganz genau, so ist es richtig.
§1 des Grundgesetztes „Die Würde des menschen ist unantastbar“.
Der Mann ist dement, hat vermutlich keine Angehörigen, die sich um ihn kümmern- oder sie wohnen weit weg, oder,oder, oder…
Grundsätzlich befürworte ich es sehr, dass er nicht ruhig gestellt wird, sondern sich bemerkbar machen soll.
Aber da beginnt dann der allgemeine Wahnsinn des deutschen Pflegesystems….
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Eure Unterhaltung klingt, als wenn er ziemlich „klar“ wäre. Seltsam, dass er dennoch so viel ruft.
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Mensch unter Menschen … und reden schafft Nähe.
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Ganz genau!
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Zumindest weiß er jetzt, dass er nicht alleine ist und dass ihn jemand hört. Das hat ihn vielleicht sehr beruhigt?
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Vielleicht. Zu mindest für den Augenblick.
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